„Die Aussichtslosigkeit der Alternativen, wie sie aus dem modernen warenproduzierenden System noch hervorgehen, legt mit immer größerem Nachdruck die Kritik des kategorialen Zusammenhangs selbst nahe, in dessen Grenzen sich alles bisherige Denken und Handeln der Moderne bewegt hat. Man kann sich winden und wenden, wie man will: Die Moderne, das heißt die Realmetaphysik der Wertform oder das Fetischverhältnis des Kapitals, kann auf keine Weise „neu erfunden“, sondern nur noch überwunden werden. Es bedarf einer emanzipatorischen Antimoderne, die nur aus einer Transformation der linken Gesellschaftskritik hervorgehen kann.“[1]
Das Projekt einer „emanzipatorischen Antimoderne“, wie es Robert Kurz in dem abschließenden Kapitel seines Buches „Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung“ antizipierte, hatte von Anfang kein geringeres Ziel, als die theoretische Kritik der gesamten kapitalistischen Modernisierungsgeschichte, ihrer bürgerlich-ideologischen Verlaufsformen, sowie deren innerlinker Derivate. Dass ein solches Projekt freilich nicht vom Himmel fällt, sondern allein durch ein beständiges Herausarbeiten aus der eigenen bürgerlichen Subjektform bewerkstelligt werden kann, dafür steht die theoretische Entwicklung von Robert Kurz beinahe mustergültig. Sie umfasst als Startpunkt eine von Lenin beeinflusste Marx-Interpretation und endet mit der Einsicht in die unabdingbare Notwendigkeit einer Transformation der Wertkritik in die Wert-Abspaltungs-Kritik.
Diese dreißig Jahre dauernde theoretische Entwicklung war dabei geprägt von der permanenten Kritik an den „Mühlen des Teufels“, wie Robert Kurz den Kapitalismus einmal bezeichnete, was für ihn immer schon die radikale Selbstkritik der eigenen Subjekt- und Theorieform einschloss. So nimmt es nicht wunder, dass die von der unbedingten Wut auf eine unmenschliche Gesellschaft inspirierte Akribie, mit der er nahezu jedes Feld bürgerlicher Wissensproduktion kritisch durchleuchtete, auch auf eine beständige Zuspitzung und Radikalisierung seiner eigenen theoretischen Kritik drängte. Angefangen mit der Kritik am Arbeiterbewegungsmarxismus, über diejenige der bürgerlichen Aufklärungsphilosophie und, über diese vermittelt, einer Kritik des wertkritischen Objektivismus, zu der eigenständigen Ausformulierung von Ideologiekritik, bis hin schließlich zur Kritik des patriarchalen Chrakters der Wertform – dieser umfassende theoretische Fundus war stets darauf geeicht, das Unbehagen am eigenen status quo der Theorieentwicklung, aber auch dasjenige angesichts der jeweils aktuellen Theoriegruppe, in der er sich bewegte, zu artikulieren.
Deshalb verstand Robert Kurz die von ihm oftmals betonte „Eigenständigkeit der Theoriebildung“ vor allem auch als einen Hinweis auf den grundsätzlichen Widerspruch, in dem sich radikal gesellschaftskritische Theoriebildung bewegt: Ihr Verhältnis gegenüber der Bewegungslinken kann nur ein distanziertes sein, da es das Ende kritischer Theoriebildung wäre, sich als Legitimationsinstanz für linke Szenebedürfnisse herzugeben. Insofern stand Robert Kurz mit seinen Schriften und Büchern zeit seines Lebens quer zu den diversen Spaltungen der Linken und ihrer in polaren Bahnen verlaufenden Scheingefechte. Mit der neuen Marx-Lektüre und einer falschen Globalisierungskritik rechnete er ebenso ab, wie mit den nostalgischen TheoretikerInnen einer „sozialistischen Warengesellschaft“ und wie nicht zuletzt natürlich sowohl mit der antiimperialistischen als auch der antideutschen Ideologie. Die barbarischen Regimes einer „nachholenden Modernisierung“ als irgendwie geartete Emanzipationsinstanzen anzusehen, blieb für ihn immer ebenso undenkbar, wie zu den Bürgers und ihrem gleichfalls barbarischen „demokratischen Nomos der Moderne“ überzulaufen, wie er im „Weltordnungskrieg“ ausführt:
„So wird immer deutlicher eine doppelte Aufgabe für die Reformulierung linker, radikal emanzipatorischer Gesellschaftskritik sichtbar, je weiter die kapitalistisch-demokratisch unbewältigbare Weltkrise voranschreitet: nämlich sich den falschen Alternativen der immanenten Selbstzerstörungs-Bewegung grundsätzlich zu verweigern und eine „dritte“ Position jenseits der Gegensätze von „westlichen Werten“ und „anti-westlichen Kulturen“, von Bush und bin Laden, von bürgerlicher Aufklärung und ebenso bürgerlicher Gegenaufklärung, von negativem Universalismus des Kapitals und ebenso negativem Universalismus der religiösen Regression, von kapitalistischer Globalisierung und ebenso kapitalistischem Ethno-Partikularismus einzunehmen. Im Zentrum dieser zu erkämpfenden Position jenseits von barbarischen Regressionen und postmoderner Scheinkritik, die das Wesen der repressiven und selbstzerstörerischen Ordnung nicht berührt, kann nur der vollständige und klare Bruch mit der kapitalistischen Realmetaphysik, mit dem ökonomistischen Realitätsprinzip und mit dem demokratischen Nomos der Moderne stehen.“ [2]
Wenn die Objektivität der „negativen Wahrheit der Kritik“ (Robert Kurz) auch in dem theoretischen Inhalt begründet liegt, ist die Entwicklung hin zur „Wert-Abspaltungs-Kritik“ nichts desto trotz auch mit der Person Robert Kurz verwoben. Ich habe, seit ich ihn kannte, nicht erlebt, dass er seine exponierte theoretische Stellung jemals für machttaktische Belange ausspielte, oder seine Kritik als Austragungsort persönlicher Empfindsamkeiten verstand; Überheblichkeit und Ich-Fixierung waren ihm zutiefst fremd. Dass dieser Vorwurf von manchen WeggefährtInnen dennoch ab und an gegen ihn erhoben wird, dürfte insofern eher dem Bestreben zuzuschreiben sein, objektiv-inhaltliche Differenzen und ihre notwendigerweise vehementen Austragungensformen auf eine persönliche Ebene abzuschieben. Denn so polemisch seine Texte und Bücher auch waren, entsprangen ihr raffinierter Witz und ihre überzeugende Unerbittlichkeit doch einem Streit um den Inhalt und seiner Transformation in eine radikale Kritik, nicht aber dem selbstdarstellerischen Bedürfnis einer bloßen Denunziation. So viele heftige, zu seinem Leidwesen mitunter gemeine Auseinandersetzungen Robert Kurz auch in und mit der Linken führte und führen musste, die Hoffnung darauf, dass sie sich ihrer bürgerlichen Restbestände ein für allemal entledige, um das Projekt einer „emanzipatorischen Antimoderne“ endlich zu verwirklichen, hat er nie aufgegeben. Die letzten Sätze der „Weltordnungskriege“ lauten:
„Mag diese „dritte“ Position der Verweigerung herrschender Scheinalternativen auch gegenwärtig ohnmächtig erscheinen, so kann sie doch eine Zukunft gewinnen. (…) In diesem Sinne genügt die bisherige Kritik, die schon keine mehr ist, ganz und gar nicht den realen Verhältnissen, die sich zu einer weit radikaleren Kritik drängen.“[3]
Für diese Zukunft hat Robert Kurz sein ganzes Leben lang gekämpft, ohne Konzessionen an die „Mühlen des Teufels“. Sollte sie wider jeglicher Anzeichen tatsächlich doch noch eintreten, hätte sein Werk daran wohl mehr als einen erheblichen Anteil.
[1] Robert Kurz, Weltordnungskrieg. Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung, Bad Honnef, 2003, S.434.
[2] A.a.O., S. 436.
[3] A.a.O., S.439.