Das Haltbarkeitsdatum gesellschaftlicher Konjunkturen verfällt im Zeitalter der fundamentalen Krise geradezu exponentiell. Was einst noch ganze Jahrhunderte andauerte, nämlich der Modernisierungskampf um die Anerkennung in die Wert-Abspaltungs-Form zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse, ist seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auf den Zeithorizont einer Generation zusammengeschrumpft. Erscheint die Geschichte des Akkumulations- und Unterwerfungsprozesses der Menschen unter den fetischistischen Selbstzweck, zumindest gemessen an dem universellen Leid bürgerlicher Subjektwerdung, unerträglich lang, stößt die „innere Schranke“ (Marx) des Weltkapitals das dysfunktional gewordene „Menschenmaterial“ im Zuge des Zerfallsprozesses dafür umso ruckartiger wieder aus.
Je mehr sich die historische Galgenfrist der Krisenvergesellschaftung dabei komprimiert, desto geschichtsvergessener wird das bürgerliche Bewusstsein in diesem Prozess. So ist die neoliberale Postmoderne auch schon wieder vorbei und hinterließ das Trümmerfeld einer Generation, welche nichts anderes mehr kennt, als den historisch einmaligen unmittelbaren Zugriff des universellen Weltmarkts auf die zwangsindividualisierten Zerfallssubjekte, dessen Kehrseite und gleichursprüngliche Bedingung die „Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne“ (Roswitha Scholz) darstellte, wobei der von Grund auf repressive Gehalt der bürgerlichen Familie sich gerade durch ihren Zerfall hindurch noch einmal mobilisierte. Die mit diesem Verwilderungsprozess einhergehende Metamorphose des „psychischen Formprinzips“ oder der „sozialpsychischen Matrix“ (Elisabeth Böttcher) hin zu einer präödipalen Subjektkonstitution hat einen narzisstischen Sozialcharakter hinterlassen, dessen desexualisierten Triebschicksale in ihrem Unmittelbarkeitswahn eine völlige Entgrenzung erfahren.
Die im Zerfallsprozess der Wert-Abspaltungs-Form gleichsam explodierende androzentrische Suprematie hat in der jungen Generation der westlichen Mittelschichten einen Männertypus hinterlassen, der von der „kategorialen Kritik“ (Robert Kurz) schon frühzeitig als postmoderner Softie aufs Korn genommen wurde. Denn die exquisit softe Mittelschichtsmännlichkeit errang ihre Hegemonie nicht nur innerhalb der neoliberalen Mittelschichten, sie machte sich vielmehr ebenso in dem zur Szene verkommenen Linksradikalismus breit. Mag sie dabei auch verschiedene Gestalten annehmen, ihnen ist allesamt eines gemeinsam: Sie laufen vor Empfindsamkeit gleichsam über, wobei sie diese ungefragt über jede nächstbeste Person ergießen, die sich zufälligerweise und völlig ahnungslos in ein Gespräch mit ihnen verwickeln lässt.
Treibt sich der postmoderne Softie gemeinhin auf Queer-Partys rum, organisiert transgender-Workshops oder dekonstruiert in Plenen seine Männlichkeit, repräsentiert also die sanfte Variante bewegungslinker Männlichkeit schlechthin, hat der narzisstische Androzentrismus sich darüber hinaus schon längst in das Feld der theoretischen Gesellschaftskritik vorgefressen, innerhalb derer er sich primär auf die „Kritische Theorie“ Adornos bezieht; mitunter samt vordergründiger Abgrenzung gegen den Poststrukturalismus. Bevorzugt geriert er sich hierbei als „szenekompatibler Szenekritiker“ oder „atheoretischer Theoretiker“, womit er auf fruchtbaren Boden im Sumpf der bewegungslinken Theoriefeindlichkeit fällt, sofern hier „Kritische Theorie“ alleinig zur individuellen Ergötzung betrieben wird. Herausspringt für ihn ein Distinktionsvorteil in Sachen „theoretischer Kritik“, ohne dass er jemals Gefahr liefe, das linke Zerfallsselbst mit seinem Identitätszwang zu konfrontieren.
Der feinsinnige Adornit repräsentiert dabei einen Typus des „kritischen Theoretikers“, der zwar in die Schule der antideutschen Altkader gegangen ist, im Gegensatz zu diesen aber die postmoderne Sozialisation voll mitgemacht hat. Adaptiert hat er von jenen die knallharte Affirmation männlich-westlicher, weißer Subjektivität, allerdings aus dem zugespitzten Krisenstatus „hausfrauisierter Männlichkeit“ (Claudia von Werlhof) heraus, weshalb seine zarten Sinne die offene Denunziation antideutscher Provenienz scheuen, die daher eher verdruckst und nur selten in der direkten Auseinandersetzung zur Geltung kommt. Der aus der Konfliktunfähigkeit des narzisstischen Sozialcharakters hervorgetriebene Nettigkeitsterrorismus ist eben auch an der jüngeren Generation der antideutschen Vernunftpolizei nicht spurlos vorbeigegangen, weswegen die Adorniten realiter irgendwo zwischen poststrukturalistisch und antinational oszillieren. Zu identifizieren ist dieses betont empfindsame Adornitentum zuweilen schon rein äußerlich durch das Tragen von schwarzen Mänteln, garniert wahlweise mit „Bahamas-Täschchen“ unterm Arm.
Dass sich die Mantelträger-Adorniten um des theoretischen Distinktionsgewinns willen nun ausgerechnet auf Adorno beziehen, ist alles andere als ein willkürlicher Akt. Und das gleich in zweifacher Hinsicht: Zum einen wittern sie in Adornos Diktum, in der Spätmoderne sei eine Großtheorie nicht mehr möglich, ihre eigene Aversion gegen die reflexive Abstraktion, sodass sie in dessen Aphorismen die Weihe des Individualtheoretikers wiederzuentdecken vermeinen, der, weitgehend assoziativ, aber ungemein belesen, die Welt im Stile der lyrischen Intervention zu erklären vermag. Adorno als Erbauungsliteratur für ausgewiesene Kleintheoretiker gewissermaßen; während die vernunftkritischen Momente der „Dialektik der Aufklärung“, von übergreifenden geschichtstheoretischen und gesellschaftskritischen Reflexionen verschont, ein Schattendasein fristen.
Zum anderen eignet sich „Kritische Theorie“ aber deshalb besonders für die Selbstbespiegelung empfindsamer Mantelträger-Adorniten, da ihre ästhetischen Abhandlungen prekarisierte Überlebenskünstler offenbar anziehen wie die Scheiße die Fliegen. Der feinsinnige Adornit ist in erster Linie ein Ästhet, weshalb Theorie und Ästhetik für ihn auch in eins fallen. Daher kann er von Beruf wegen Philosoph, Grafikdesigner oder kreativer Handwerker sein, wobei sein ästhetischer Selbstverwirklichungsdrang sich beileibe nicht auf den Berufsalltag beschränkt, sondern in die eigenen vier Wände hinein verlängert wird, die zum idealen Abbild des eigenen Gesamtkunstwerks ausstaffiert werden. Was den Mantelträger-Adorniten als künstlerische Sublimierung dünkt, ist in Wahrheit jedoch der von der narzisstischen Desexualisierung präfomierte Reinheitszwang, der jedwede Sublimierung scheinbar restlos abgeschnitten hat. Die buchstäblich gegenstandslos gewordene Selbstästhetisierung ist ohne Frage ein Moment der Behauptung androzentrischer Suprematie im Zerfallsprozess der „Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne“.
So sehr die Mantelträger-Adorniten sich bemühen, ihre ästhetische Selbstinszenierung durch einen identitären Theoriebezug auszuschmücken, findet ihr theoretisches Verständnis spätestens dann einen abrupten Abbruch, wenn die Kritik die androzentrische Theorieform transzendiert. Zwar goutieren sie in ihren vornehmlichen männerbündischen Zusammenhängen die eine oder andere Frau, solange jedenfalls wie sie sich als Objekt der Spiegelung zarter Männerseelen eignet; denn der fetischistische Zwang ihrer ausgreifenden Empfindsamkeit entspricht in Wahrheit dem Okkupationsversuch „hausfrauisierter“ Männlichkeit, die Weiblichkeit gerade auf dem ihr zugeschriebenen Gebiet männlich zu besetzen und gänzlich in das androzentrische Universum der zerfallenden Mittelschichtsmännlichkeit einzugliedern. Was ihnen hingegen als ganz und gar nicht sublim erscheinen mag, ist feministische Kritik, zumal, wenn sie nicht so zart besaitet daherkommt. Schlussendlich wären die Adorniten-Künstler am liebsten zugleich die empfindsameren Adornitinnen; weshalb ihre Feinsinnigkeit spätestens an diesem Punkt nachhaltig auf die Probe gestellt wird.
Dünken sich die feinsinnigen Seelen der „atheoretischen Theoretiker“ gegenüber dem poststrukturalistischen Feminismus erhaben, behagt ihnen unterdessen die radikale Wert-Abspaltungs-Kritik schon auf einer vortheoretisch-affektiven Ebene überhaupt nicht. Bei all ihrer Ignoranz gegenüber der feministischen Theoriegeschichte konnte es sich doch nicht vermeiden lassen, dass sie irgendwann auch auf das „Abspaltungstheorem“ treffen mussten, mit welchem Roswitha Scholz aus ihrem Adorno-Bezug heraus eine gänzlich andere Stoßrichtung „Kritischer Theorie“ entwickelte. Indem die Theoretikern deren androzentrismuskritischen Momente, die von den Mantelträger-Adorniten auf den Empfindsamkeitskultus gekränkter Männerseelen zurückgebogen werden, zuspitzte, baute sie die Wert-Abspaltungs-Kritik zu einer ganz und gar nicht kleinen Theorie aus: Der Nachweis einer kategorialen Gebrochenheit auf der höchsten Ebene der gesellschaftlichen Realabstraktion von Wert und Abspaltung, die alle Stufen der „konkreten Totalität“ durchdringt, radikalisierte das nicht-identische Moment „negativer Dialektik“ dadurch, dass er dessen partikularen Status bei Adorno zu einer kategorialen Kritik des androzentrischen Fetischismus kapitalistischer Produktions- und Lebensweise modifizierte. Die damit einhergehende radikale Kritik der Aufklärung und des männlich-westlich-weißen Subjekts tat ihr übriges dazu, die „kategoriale Kritik“ als alles andere denn feinsinnig zu befinden.
Der eigene Affekt, addiert mit dem, was man vom Hörensagen so kennt, ist völlig ausreichend, um das Theorieverständnis der Mantelträger-Adorniten einem schlagartigen Ende zuzuführen. Es ist ihnen schlicht zutiefst zuwider, dass die Wert-Abspaltungs-Kritik ihnen gerade auf jenem Feld der Theoriebildung entgegentritt, das sie als vernarrte Kleinstheoretiker qua Distinktionsgewinn zu besetzen trachten; und die deshalb auch nicht so leicht abzukanzeln ist wie der poststrukturalistische Feminismus. Verirren sie sich aus freien Stücken zufällig einmal auf einen wert-abspaltungs-kritischen Vortrag, affiziert dieser ihre sensiblen Sinne in einem solchen Ausmaß, dass sie augenblicklich zum ordinärsten Stammtischproletentum mutieren: Für sie entspricht es dem guten Ton eines kultivierten Miteinanders, den Referenten anschließend bis tief in die Nacht hinein mit Attacken gegen die Abspaltungstheorie zu malträtieren, die ihre ausschließliche Abkunft aus den „geplagten“ Seelen depravierter Krisenmännlichkeit schon gar nicht mehr kaschieren. Schon verstanden, so genau wollen wir es dann doch nicht wissen. Wenigstens lässt sich nach einer solchen Begebenheit unzweifelhaft feststellen: Gegenüber den soften Adorniten erscheint noch der autoritärste Parteistalinist als quasi-feministischer Widerstandskämpfer.
Es ist einfach unvermeidlich, dass einem/einer im Laufe der Begegnung mit solch unerschütterlich empfindsamen Mantelträger-Adorniten jene Filmsentenz aus einem Western-Klassiker in den Kopf schießt: „Ich hab schon mal drei von diesen Mänteln gesehen (…) In den Mänteln waren drei Männer, und in den Männern drei Kugeln.“ Na, das jetzt aber wirklich zu brachial für das empfindsame Gemüt; entschuldigt. Es reicht auch völlig aus, den Mantelträger-Adorniten ihre eigene Melodie vorzuspielen und ihnen nicht gleich das Lied ihres Todes zu spielen – im Sinne der sehr unwahrscheinlichen Überwindung „warenproduzierend-patriarchaler“ Fetischkonstitution haben sie sich ohnehin schon seit geraumer Zeit überlebt.
Um der Feinsinnigkeit willen deshalb ein anderer Vorschlag zur Güte: Wie wäre es, wenn man sich gemeinsam irgendwo in Berlin oder Hamburg einrichtet und sich einen Lebensraum mantelträgeradornitischer Feingeister einrichtet (die rote Flora würde sich doch anbieten)? Eine wahre Wohlfühloase androzentrischer Sinnlichkeit, durch und durch ästhetisiert, und auserkoren für die Pflege gekränkter Seelen durch poetische Erquickung bei der Lektüre der „Minima Moralia“; getragen von einer geschlechtsadäquaten Alltagsgestaltung versteht sich. Dafür wird aber der Anspruch einer „Kritischen Theorie“ fallen gelassen, denn dann haben auch alle Seiten was davon. Auf diese Art und Weise lässt sich der Übergang in den Zusammenbruch der westlichen Zentren letztlich doch noch richtig feinfühlig gestalten. Und im Hintergrund erklingt die Zwölftonmusik…