Letzte Beiträge
Von der Kontingenzmetaphysik zur Feindbestimmung
von Patrice Schlauch
Über Chantal Mouffes linken Populismus
Seit dem traditionellen Marxismus im Zeichen der Krise seine geschichtsphilosophischen Gewissheiten abhanden gekommen sind, befleißigen sich dessen NachlassverwalterInnen pflichtschuldig einer Revision seiner Kategorien zugunsten postmoderner Diskurs-, Handlungs- und Politiktheorien, denen die Kritik einer gesellschaftlichen Totalität Anathema ist. Mit den tatsächlichen Borniertheiten des überkommenen Marxismus, seiner Ignoranz gegenüber Denkformen und Ideologie, seiner Theoretisierung des Staates als bloßem Überbauphänomen, seiner Adelung der Arbeiterklasse zum revolutionären Subjekt sowie der Annahme einer aus der ökonomischen Entwicklung als notwendig abgeleiteten Überwindung des Kapitalverhältnisses verfällt auch die Kritik der politischen Ökonomie überhaupt dem Verdikt der „Großtheorie“ und des „Ökonomismus“. Pate für diese Schleifung stand und steht Antonio Gramsci, der mit seinen Konzepten der Zivilgesellschaft und des politischen Kampfes um Hegemonie dem sogenannten „Postmarxismus“ zentrale Stichworte an die Hand gab. Heute gilt er im gesamten Milieu des Postoperaismus und darüber hinaus als Theoretiker, der die Handlungsperspektiven im Politischen und Kulturellen jenseits der ökonomischen Determinationen marxistischer Orthodoxie aufzeigte. Zu seinen AdeptInnen gehört auch die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, die sich in ihrer Argumentation für eine Wiederbelebung des Politischen und einen neuen Linkspopulismus nicht nur auf den unter faschistischer Herrschaft inhaftierten und gestorbenen Kommunisten Gramsci bezieht, sondern zugleich auf den nationalsozialistischen Staatsrechtler Carl Schmitt. Was vorderhand als wüster Synkretismus erscheinen mag, erweist sich bei genauerem Hinsehen doch als immanente Konsequenz eines Denkens, das die Kategorie der Kontingenz zur politischen Metaphysik erhebt und im Modus des Dekonstruktivismus letztlich keine gesellschaftliche Form mehr kennt, sondern nur noch die Unmittelbarkeit der politischen Dezision.
Der affektive Luxus
von Patrice Schlauch
Kommentar zum Ressentiment gegen Israel
Je brutaler die Attacken gegen den jüdischen Staat und seine Bevölkerung, desto größer die internationale Solidarität mit den geschundenen Palästinensern. Dieses Gesetz galt seit jeher für die regelmäßigen Versuche palästinensischer Banden und arabischer Staaten, die propagandistischen Montagen nahöstlicher Landkarten wahr werden zu lassen, auf denen kein israelischer Staat mehr existiert. Was ein befreites Palästina „from the river to the sea“ bedeuten würde, konnte man schon wissen, bevor die Hamas am 7. Oktober in einem bisher beispiellosen Versuch an dessen Verwirklichung arbeitete: den Massenmord an den Juden. Nie hatte die Hamas Anderes propagiert, nie hatte sie Zweifel an ihrem unbedingten Vernichtungswillen gelassen, zu dessen voller Umsetzung ihr lediglich die Mittel fehlten. Dass es ihr nun doch zur unvorstellbaren Freude ihrer Anhänger gelang, die israelischen Grenzanlagen zu überwinden und sich an den eigenen Bluttaten zu berauschen, triggert im internationalen Politik- und Medienbetrieb in affektiver Umkehr das scheinbar unerschöpfliche Mitleid mit den Palästinensern und spiegelverkehrt die abgeklärte Kälte, mit der die israelischen „Racheaktionen“ als unverhältnismäßig und unmenschlich gegeißelt werden.
Trieb und Trauma
von Patrice Schlauch
Vom Verlust des Objekts und dem achtsamen Ende der Kritik
„Und nun will ich dir sofort das große Geheimnis anvertrauen, das mir in den letzten Monaten gedämmert hat. Ich glaube an meine Neurotica nicht mehr.“[1] Diese Worte, die Sigmund Freud 1897 an seinen Freund Wilhelm Fließ richtete, markieren die Überwindung der sogenannten „Verführungstheorie“ und damit die Entstehung der psychoanalytischen Theorie und Praxis. Zuvor hatte Freud neurotische Erkrankungen noch auf eine ursprüngliche, in der Kindheit verortete sexuelle Verführung des späteren Patienten durch einen Erwachsenen zurückgeführt. Ausgegangen war er von einer nicht-sexuellen, rein passiven Position des Kindes – Freud bezeichnete die initiale Verführung daher als ein „vorzeitiges Sexualerlebnis“ – und einer aktiven Position des verführenden Erwachsenen. Die Verführung, deren Spektrum Freud zufolge von irritierender Zärtlichkeit der Erziehungspersonen bis hin zu tatsächlichen Übergriffen reichen konnte, sei vom unbedarften Kind als Überwältigung wahrgenommen worden, die folglich verdrängt werden musste und späterhin die Verdrängungsschranke in Form der Neurose überwinden konnte.
„Kämpfe“, „Commons“ und Kitsch
von Patrice Schlauch
ANMERKUNGEN ZU SILVIA FEDERICIS OPERAISTISCHER KRISENVERDRÄNGUNG
Dekonstruktion, Diskurshegemonie, Sprechort, Performanz – das waren lange Zeit die Stichworte eines postmodernen Feminismus, der in seinem Spiel der Sprache und der Identitäten von der Frage nach der gesellschaftlichen Objektivität absah. Das Partikulare galt ihm als nicht synthetisierbar und wer es doch in Begriffen aufzutun versuchte, sah sich dem Vorwurf des „Phallogozentrismus“, gar einer „Anbetung des monotheistischen, phallischen, autoritären und singulären Wortes, des einzigen und perfekten Namens“ ausgesetzt, wie sich Donna Haraway exemplarisch im einschlägigen Jargon ausdrückt.[1] Die Insistenz darauf, dass ein Ganzes existiere, das mehr sei als die Summe kontingenter Sprechakte, galt ihm als Ausweis einer universalistischen Hybris, jedes begriffliche Denken als unzulässige Sinnstiftung. Das Ende der Meta-Erzählungen ging mit der Substitution des Begriffs durch das dissoziierte „Rauschen“ einher. Indem der Feminismus zum radikalen Relativismus degenerierte, war er mehr ein Ausdruck des herrschenden Zeitgeistes als ein Versuch seiner Kritik.
Mörderischer Agnostizismus
von Benedikt Schuhr
AFGHANISTAN UND DAS SCHEITERN DER LINKEN
Am Ende kam alles ganz plötzlich: „Berlin zeigte sich vom schnellen Siegeszug der Kämpfer überrascht“[1], schrieb die SZ am 16. August. Dabei ist wohl kaum etwas überraschender und gleichzeitig verlogener hinsichtlich der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan als die allseitige „Überraschung“ darüber, wie schnell doch alles letztlich ging. Dass die afghanische Nationalarmee ein vom Westen finanziertes Phantasma war, welches den Taliban nichts entgegenzusetzen hatte, war allen Beteiligten seit Jahren bekannt. Angesichts dieser Blamage setzt die westliche Polit-Prominenz zunehmend auf ihre scheinbar letzte Karte: Ein kollektiver Agnostizismus macht sich breit hinsichtlich dessen, was der afghanischen Bevölkerung nun blüht:
Rettet den Kapitalismus vor sich selbst!
von Daniel Späth
POSTWACHSTUMSÖKONOMIE ALS NOTSTANDSVERWALTUNG
Aus Sicht der von „fractura – Gruppe für kategoriale Kritik“vertretenen Wert-Abspaltungs-Kritik hat der in OXI geführte Disput, ob eine postwachstumsökonomische Position mit der Kritik des „vorliegenden kapitalistischen Systems“ (Daub/Bontrup) vereinbar sei, etwas Gespenstisches. Unter zugespitzten Verhältnissen setzt er an einer einstmals polemisch geführten Auseinandersetzung an, die mit Marx und Proudhon begann und sich zwischen der Arbeiterbewegung und Silvio Gesell fortsetzte. Der unwirkliche Gehalt der hier zu führenden Debatte speist sich dabei aus einer tiefgreifenden Paralyse der radikalen Linken, der selbst ihre tradierten, obzwar immanent beschränkten Selbstverständlichkeiten im Banne der strikt geleugneten Fundamentalkrise unter den Händen zerrinnen, wodurch sie sich sukzessive jener Tradition anzuverwandeln begonnen hat, deren Vertreter vom Marxismus bestenfalls als „Geldpfuscher“ (Marx) verspottet wurden.
Vorgekautes
von Patrice Schlauch
Oder: Ernst Schmitters Wertkritik light
Kriterium des Wahren ist nicht seine unmittelbare Kommunizierbarkeit an jedermann. (Theodor W. Adorno)
Das Abstraktionsniveau radikaler Gesellschaftskritik misst sich nicht am Gutdünken des Kritikers oder der Kritikerin, sondern an der realen Abstraktion kapitalistischer Vergesellschaftung, die als Objekt der Kritik die Notwendigkeit theoretischer Abstraktion vorgibt. Gesellschaft als reale Verkehrung, die als fetischistischer Prozess hinter dem Rücken ihrer ExekutorInnen gleichsam durch diese hindurch sich vollstreckt, entzieht sich dem Verständnis des Alltagsverstands, der konsequent die Reflexion auf seine eigene Borniertheit verweigert. Die gedankliche Anstrengung als Negation des gesunden Menschenverstands, als partielles Heraustreten aus der eigenen Formbestimmtheit, ist daher Bedingung der Möglichkeit von Kritik. Gerade der narzisstische Sozialcharakter der Postmoderne, welcher zum Objektbezug ohnehin unfähig ist – und nichts anderes ist die Kritik als sublimiertes Beharren bei einem Unlust bereitenden Gegenstand mit der Hoffnung auf seine baldige Abschaffung –, dessen Aufmerksamkeitsspanne so kurz wie seine Frustrationsgrenze niedrig ist, sehnt sich nach der Vereinfachung von komplexer Theoriebildung zu erstarrten Formeln, die jederzeit zur „Operationalisierung“ taugen sollen. Vergessen das auf Hegel rekurrierende Diktum Adornos, dass sich gelungene Theoriebildung gerade auch dadurch auszeichnet, sich nicht auf einen Spruch bringen zu lassen – sowenig eben, wie das „warenproduzierende Patriarchat“ (Roswitha Scholz) selbst sich auf einen Spruch bringen lässt. Der in der Linken allgegenwärtige Affekt gegen die gedankliche Abstraktion ist daher auch immer schon eine Apologie derjenigen realen Abstraktion, welche die Gesellschaft an ihren Zwangsmitgliedern vollstreckt.
Präödipale Monster
von Patrice Schlauch
Zur Kritik der postmodernen Zerfallssubjektivität und ihrer destruktiven Entgrenzung
Das männliche bewaffnete Kind als letzte misogyne Horrorgestalt der Moderne ist schon mehr als ein Menetekel. (Robert Kurz)
Obschon die kapitalistische Verwertungslogik als „automatisches Subjekt“ (Marx) in verselbständigter Weise auf sich rückgekoppelt ist, bleibt sie doch auf eine stoffliche und leibliche Dimension verwiesen, vermittels derer die Selbstzweckbewegung des Kapitals in Erscheinung zu treten vermag. Die gesellschaftliche Realmetaphysik, deren Logik G-W-G´ schon ihre irrationale Feindlichkeit gegen Leib und Stoff anzumerken ist, kann ohne ihre destruktive Vermittlung durch genau diese Leiblichkeit und Stofflichkeit nicht prozessieren. Wie der Wert den Gebrauchswert als „stofflichen Träger“ zu seinem inneren Komplement hat, so bleibt die negative Totalität in ihrer selbstreflexiven Umsetzung doch immer an seine leiblichen Agenten gebunden – Waren produzieren sich nicht von selbst, tragen sich bekanntlich auch nicht selbst zu Markte; genausowenig, wie sich die an Frauen deligierten Reproduktionstätigkeiten von allein erledigen. Regiert werden die Individuen dabei keineswegs nur von sogenannten „Sachzwängen“, die sich als rein äußerliche Nötigung den Einzelnen aufherrschen – als Subjekte haben sie den objektiven Zwang schon längst als Selbstzwang internalisiert, ihn als Grundprinzip ihres Daseins eingesetzt. Die „objektiven Daseinsformen“ schreiben sich dabei nicht nur als „Gedankenformen“ ins Bewusstsein der Einzelnen ein, sondern präformieren und deformieren auch deren gesamtes Triebleben. Am Skandalon, dass die Subjekte lieber bis zur Selbstaufgabe leiden und zumal in Krisenzeiten eher den Frust ausgebliebener Triebbefriedigung als Fremddestruktion ausleben statt die Verhältnisse umzustürzen, ging noch jede Revolutionstheorie zuschanden.