Der folgende Artikel ist aufgrund einer Anfrage des Oxi-Magazins entstanden. Er war angedacht als eine Intervention in eine Debatte um den gesellschaftskritischen Gehalt der Postwachstumsbewegung, die sich zwischen Niko Paech einerseits und Jürgen Daub/Heinz Bontrup andererseits entzündet hat. Dass der Artikel ob eines angeblichen „Antisemitismusvorwurfs“ gegen Paech abgelehnt wurde, ratifiziert nur die in ihm benannte „Paralyse der radikalen Linken“, die zwar keinerlei Probleme mit einer kleinbürgerlichen Zinskritik und ihrer offenen Flanke zum Antisemitismus hat, dafür aber umso größere Bedenken gegenüber „kategorialer Kritik“ und ihrer identitätsverweigernden Analyse bürgerlichen Krisenbewusstseins hegt. Insofern dokumentiert der Artikel die ideologische Verwilderung einer keynesianisch-postmarxistischen Theorielandschaft, die längst schon in die neo-autoritäre „Wachstumskritik“ der barbarisierten Mittelschicht diffundiert ist.
Aus Sicht der von „fractura – Gruppe für kategoriale Kritik“vertretenen Wert-Abspaltungs-Kritik hat der in OXI geführte Disput, ob eine postwachstumsökonomische Position mit der Kritik des „vorliegenden kapitalistischen Systems“ (Daub/Bontrup) vereinbar sei, etwas Gespenstisches. Unter zugespitzten Verhältnissen setzt er an einer einstmals polemisch geführten Auseinandersetzung an, die mit Marx und Proudhon begann und sich zwischen der Arbeiterbewegung und Silvio Gesell fortsetzte. Der unwirkliche Gehalt der hier zu führenden Debatte speist sich dabei aus einer tiefgreifenden Paralyse der radikalen Linken, der selbst ihre tradierten, obzwar immanent beschränkten Selbstverständlichkeiten im Banne der strikt geleugneten Fundamentalkrise unter den Händen zerrinnen, wodurch sie sich sukzessive jener Tradition anzuverwandeln begonnen hat, deren Vertreter vom Marxismus bestenfalls als „Geldpfuscher“ (Marx) verspottet wurden.
Mittelschichtsimaginationen in der Krise
Bereits die basale Mär eines wachstumslosen Kapitalismus fußt auf einem stofflichen Konkretismus, wie er der bürgerlichen Politischen Ökonomie seit eh und je eigen ist. Der hierbei obwaltende Wachstumsbegriff kapriziert sich infolgedessen ausschließlich auf den Output natürlicher Ressourcen, womit der fetischistische und verrückte Charakter der kapitalistischen Produktionsweise von Grund auf verkannt wird. Denn die gesamtgesellschaftlich in den betriebswirtschaftlichen Räumen vollzogene Realabstraktion Arbeit sieht in ihrer Tätigkeit gewaltsam vom konkreten Inhalt ab; in der Verwertung dieser abstraktifizierten Arbeitssubstanz und nicht im „Wachstum“ des Ressourcenverbrauchs besteht der übergreifende Zwang des gesellschaftlichen Selbstwecks, weshalb lebensnotwendige Erzeugnisse erst gar nicht produziert werden, wenn sie sich nicht profitabel als Waren absetzen lassen. Ein Kapitalismus ohne Wachstum entspricht dem Sinngehalt eines Waldes ohne Bäume oder einer Wissenschaft ohne Positivismus.
Die auf diesem stofflichen Reduktionismus aufbauende Vorstellungswelt mutet wie der indes ganz und gar nicht süßliche Tagtraum des Mittelschichtssubjekts an, das sich in der transnationalen Trümmerwüste des zerfallenden Weltkapitals behaglich einzurichten sucht. Zu diesem Zwecke trachtet die Postwachstumsökonomie voller Inbrunst danach, den Kapitalismus immerzu vor sich selbst zu retten: Bodenständig und so richtig heimelig dünkt Paech daher die regional begrenzte Warenproduktion, „die nicht profitorientiert wirtschaften“ soll; gleichsam artifiziell und bodenlos wirkt demgegenüber das „Netz globalisierter und hochfrequenter Austauschbeziehungen“ von „entgrenzten Wertschöpfungsketten“, das für die Profitmaximierung verantwortlich zeichne. Die abstruse Fiktion einer Warenproduktion ohne Profitmaximierung bildet lediglich die Kehrseite des imaginierten Kapitalismus ohne Wachstum.
Als epistemische Grundlage für derlei willkürliche Spaltungen in einen gut-konkreten und einen bös-abstrakten Kapitalismus figuriert bei Paech die liberale Doktrin, die er von seinem volkswirtschaftlichen Bezugspunkt Silvio Gesell übernommen hat und die im direkten Gegensatz zur Marxschen „Kritik der Politischen Ökonomie“ steht. Fallen Produktionssphäre und abstrakte Arbeitssubstanz der Ontologisierung anheim, vermag sich das Geld- und Warensubjekt den hergestellten Mehrwert nur mehr als ein den Metamorphosen des Marktes entsprungenen Überschuss an Geldkapital zusammenzureimen – die begriffslose Leerstelle wird durch eine moralistische Anprangerung des Zinses substituiert. Auf diese Weise verfällt die Postwachstumsbewegung dem realen Schein, als inhäriere dem Zins die unerklärliche Eigenschaft, sich wie durch Zauberhand als „arbeitsloses Einkommen“ selbst zu verwerten. Im Namen des dem vergänglichen Warenkörper nachgeahmten Frei- oder Schwundgelds perhorresziert Paech das zinstragende Geld als „wachstumstreibendes“ Übel schlechthin. Das Phantasma eines Geldes ohne Zins reiht sich nahtlos in die kleinbürgerlichen Illusionen der Postwachstumsökonomie ein, wobei hier unzweideutig festzuhalten bleibt, dass der Affekt gegen das scheinbar unnatürliche zinstragende Kapital sich immer schon nahe am wahnhaften Antisemitismus befindet.
Es ist im Zuge dieser wertkritischen Reflexionen hervorzuheben, dass das Problem der planetarisch betriebenen Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen damit in keiner Weise obsolet wird. Und just auf dieser Ebene, auf der sich der Konkretismus der WachstumskritikerInnen so richtig zu Hause fühlt, wird die erkenntnistheoretische Flachheit dieser Bewegung sichtbar. In einer unbewussten Verschiebungsleistung überträgt das kapitalistische Patriarchat den Kampf gegen die abgespaltene „bedrohliche Weiblichkeit“ auf die äußere, „unbeherrschte“ Natur, weswegen sich seine destruktive Naturbeherrschung erst aus der übergreifenden Formbestimmtheit der „geschlechtlichen Abspaltung“ (Roswitha Scholz) heraus erklären lässt. Nun tangieren derart grundsätzliche Überlegungen zu der mit der Zwangsvergeschlechtlichung untrennbar verwobenen destruktiven Potenz patriarchaler Naturbeherrschung die postmoderne Krisenmännlichkeit ohnehin eher peripher und so wünscht sich Paech am Ende ein gutes Patriarchat ohne Naturbeherrschung als Reservat für hemdsärmelige Handwerker, das von dem bösen Patriarchat mit seiner Umweltzerstörung zu reinigen sei.
Postwachstum als Mainstream-Ökonomie kapitalistischer Notstandsverwaltung
Ihr spezifisches Gepräge erhält die Postwachstumsideologie allerdings erst durch ihre Stellung zur globalen Fundamentalkrise. Das Gerede von der „Überflussgesellschaft“, in der die westlichen Zentren „über ihre Kosten leben würden“, rührt von einer irrationalen Naturalisierung der haltlos gewordenen Produktionsweise her. Nach den Kriterien der zerfallenden Wert-Abspaltungs-Gesellschaft hat die Ware Arbeitskraft tatsächlich „über ihre Verhältnisse gelebt“; als überflüssiger, weil nicht mehr rentabel anwendbarer Arbeitskraftbehälter wird das Krisensubjekt auf seine schiere Leiblichkeit, auf „nacktes Leben“ (Giorgio Agamben) reduziert, das jedem über die Selbsterhaltung hinausreichenden Konsum zu entsagen hat. In vorauseilendem Gehorsam exekutieren die WachstumskritikerInnen den Entwertungsdruck an sich selbst, um sich für den anstehenden Krisenschub qua Subsistenzwirtschaft, lokaler Warenproduktion und Tauschringen zu präparieren. Survival of the fittest in Zeiten postmoderner Zerfallssubjektivität eben. Damit erweisen sie sich als ideale Speerspitze für die Krisen- und Notstandsverwaltung der ihrerseits erodierenden Staatlichkeit, um die ausgemachte Unmöglichkeit einer Verewigung der kollabierenden Weltgesellschaft verantwortungs- und „sollensethisch“ zu begleiten.
Wüssten wir es nicht besser, wäre an dieser Stelle die Frage aufzuwerfen, warum Teile der Linken sich ernsthaft einem solch intellektuell verwilderten „Kleinbürgersozialismus“ (Marx) an den Hals werfen. Dies schauerliche Amalgam von irrationaler Entwertungssehnsucht, knallharter Krisenaffirmation und zinskritischer Geldreform mit Anschluss an neofaschistische Ideologeme müsste spätestens ob seiner offenen Flanke zum Antisemitismus indiskutabel sein. Insofern ist Daub und Bontrup in ihrer Diagnose zweifelsohne zuzustimmen, dass die WachstumskritikerInnen „nicht systemrelevant kapitalistisch“ argumentieren, sondern einer Verzichtsdoktrin des prekarisierten Mittelschichtssubjekts das Wort reden.
Gleichwohl kann nicht verhehlt werden, dass ihre eigene Argumentation von geisterhaften Zügen nicht verschont bleibt. Die anachronistische Klassifizierung einer „kapitalistischen Ausbeutungsordnung“ geht stramm an dem Problem vorbei, dass nicht etwa die Ausbeutung, sondern ihr Ausbleiben die Ursache der Verwerfungen abgibt. Wo sie als Kern der Vergesellschaftung herhalten muss, ist die juristische Verkürzung des objektivierten Entwertungszwangs auf Eigentumsverhältnisse nicht mehr weit, deren „völlig ungleiche Verteilung“ anhand einer „Abschaffung des Kapitalismus durch eine Demokratisierung der Wirtschaft“ aufzuheben sei. Doch das zerfallende Weltsystem lässt sich nicht durch eine keynesianische Umverteilungsreform demokratisieren, weil es in der zur Notstandsdiktatur geronnenen Demokratie schlicht nichts mehr zu verteilen gibt. Von Seiten „kategorialer Kritik“ (Robert Kurz) ist darauf zu insistieren, dass die Transzendierung der Wert-Abspaltung einzig durch die Überwindung des kategorialen Gesamtzusammenhangs von Kapital, Staat und geschlechtlichem Abspaltungsverhältnis zu vollbringen sein wird, so wenig hoffnungsvoll die Zeichen der Zeit dafür auch stehen mögen. In jedem Fall zum Scheitern verurteilt ist hingegen die „kleinbürgersozialistische“ Krankenpflege einer postmodernisierten Linken am Sterbebett des Kapitals, die sich dessen Untergang zur eigenen Schicksalsfrage stilisiert.