Der Titel des Buches von Joachim Bischoff: Globale Finanzkrise. Über Vermögensblasen, Realökonomie und die „neue Fesselung“ des Kapitals[1] ist noch das spannendste: Wenn ich es richtig überblicke, wird in der aktuellen Krisenliteratur im Titel nur selten eine Verbindung zwischen Vermögensblasen und Realökonomie hergestellt, und so nähert man sich dem Buch zumindest nicht mit dem üblichen Widerwillen (blendet man einmal die implizite Konsequenz des Titels aus, die wohl nur in einer „neuen Befreiung“ des Kapitals liegen kann). Doch die (kritische) Erwartungshaltung wird bereits nach wenigen Sätzen desillusioniert, wenn Bischoff prognostiziert (S. 7): „Letztlich wird aber diese Krise erst dann ausgestanden sein, wenn ihr eigentlicher Herd – die Disproportionen auf den Immobilienmärkten (!) – beseitigt ist.“ In der Krise ist nach der Krise: Dieses Motto begleitet nicht nur den steuertechnischen Wahnsinn der neuen schwarz-gelben Koalition, sondern auch sogenannte marxistische Autoren (als ein solcher sieht sich Bischoff, der dann auch Marx zitiert, wobei er ihn recht abenteuerlich interpretiert). Eine derartige Analyse begibt sich lediglich auf die Ebene der Zirkulation, was zur Folge hat, dass die Krise für Bischoff nur auf dieser Ebene stattfindet.
Dieser klassische Fall von Arbeitsontologie, welche ja die Kehrseite der Zirkulationsideologie bildet, spiegelt sich bei Bischoff in der Erklärung der Krisenursache bzw. des Krisenauslösers wider (S. 8): „Der eigentliche Auslöser der Krise in den USA waren flexible Kreditverträge mit steigenden Zinsen ab dem zweiten oder dritten Jahr sowie ab 2007 fallende Häuserpreise; beides führte dazu, dass immer mehr Kunden ihre Hypothekendarlehen nicht mehr bedienen konnten.“ Man könnte dieser Aussage zustimmen, falls sie mit der Ursache der Krise auf der Ebene des „kategorialen Status der abstrakten Arbeit“ (Robert Kurz) in Zusammenhang gebracht werden würde. Aber das ist nicht der Fall, und so führt sich die Argumentation selbst ad absurdum, da sie keine Ursache mehr angeben kann, sondern nur noch Auslöser. Mit der zirkulationsideologischen Verkürzung der Krisenursache geht eine identitätslogische Fokussierung auf die Sphäre der Politik einher, und somit wird die Krise letztlich als eine Folge politischer Fehlentwicklungen angesehen. So schreibt Bischoff (S. 46): „Der Akkumulationsprozess der zurückliegenden Konjunkturzyklen ist durch die »asset-based, wealth-driven economy« geprägt. Durch die neoliberale Wirtschaftspolitik soll die Tendenz der Erhöhung der Marktpreise von Vermögenswerten und die einseitige Vermögenspolitik stabilisiert werden. Diese Dominanz der Interessen von Finanzinvestoren, Aktionären oder Vermögensbesitzern ist Ausdruck einer politisch verstärkten Fehlentwicklung der kapitalistischen Akkumulation.“ Diese Argumentation tendiert dazu, einen „Primat der Politik“ (Pollock) zu konstituieren, welcher die „kapitalistische Akkumulation“ kontrollieren könne. Damit wird die negative Dialektik von Produktion und Zirkulation einseitig aufgelöst, was zur Folge hat, dass die Krisendynamik nicht auf den Begriff gebracht werden kann (S. 46): „Die finanzgetriebene Akkumulation ist auf mittlere Sicht kapitalzerstörend, investitions- und innovationsfeindlich. Statt konsequenter Steigerung der Wertschöpfung und schrankenloser Entwicklung der Produktivkräfte wird mehr und mehr eine Fehlallokation von Kapital zugunsten unproduktiver Verwendungen marktwirtschaftlich hervorgebracht: Der Verwertung der Eigentumstitel wird die produktive Aktivität der Volkswirtschaft geopfert.“
Die „schrankenlose[ ] Entwicklung der Produktivkräfte“ wird hier offenbar als ein positives Merkmal kapitalistischen Wirtschaftens charakterisiert; auch dies ist dem Zirkulationsstandpunkt geschuldet, welcher die Verwertung der „abstrakten Arbeit“ als Zweck und die Konkurrenz als Mittel dieser absurden Veranstaltung gar nicht mehr als gesellschaftliche Kategorien begreift und die Produktivität daher nur auf der Ebene der stofflichen Produktion, und nicht der Wertdimension, ansiedelt[2]. Der Kampf des Mittels (Produktivitätssteigerung durch Konkurrenz) gegen den Zweck („Verwertung des Werts“), der letzteren in gesamtgesellschaftlichem Maßstabe obsolet werden lässt, kann von diesem Standpunkt aus nicht reflektiert werden (S. 61): „Nicht die hochtechnologisch fundierte „New Economy“, sondern die bekannten Widersprüche in der Verteilung (!) und deren Rückwirkung auf den Gesamtreproduktionsprozess zeichnen für die Akkumulationsdynmaik verantwortlich.“ Die Krise sei vielmehr, da politisch vindiziert („Die in Fonds oder Vermögensverwaltungsgesellschaften zusammengefassten Wertpapierbesitzer wirken auf den eigentlichen (!), in den Unternehmen stattfindenden Wertschöpfungsprozess ein“ (S.47)), auch politisch lösbar: Bischoff proklamiert als Ziel eine „Demokratische Kontrolle der Finanzmärkte“ (S.88), in der nicht nur die Illusion eines „neue[n] Bretton-Woods-Abkommens“ ihre Wiedergeburt findet, sondern auch der politische Konsens einer „Eigenkapitalanforderung[ ] und vernünftige[n] Praktik[ ] im Bankensektor“ (S.90) wiedergekäut wird, wobei freilich unbegründet bleibt, woher das ganze Eigenkapital auf einmal kommen soll. In einem Punkt scheinen sich all diese Krisendiskurse zu treffen: In dem vollkommen unvermittelten Theorem, dass die nationale Konjunktur wieder laufen wird, wenn die Weltkonjunktur endlich anzieht (dann gibt es wieder Eigenkapital für die Banken, Steuereinnahmen durch neue Arbeitsplätze etc.) – ein tautologischer Erklärungsversuch, welcher nur die Folge identitätslogischer, d. h. arbeitsontologischer Wahrnehmung ist (so konnte man jüngst bei Maybritt Illner sehen, dass alle Funktionseliten dieser Sendung sich in Hoffnungsphrasen bezüglich der Weltkonjunktur ergossen, wobei sie tatsächlich zu glauben scheinen, dass dadurch neue Verwertungspotentiale freigesetzt würden – „Daumen drücken!“, lautet die Parole); die Ursache der Wertentwertung und die zunehmende Unmöglichkeit, die immer geringer werdende Wertsubstanz in der Warenwelt noch darzustellen, wird auch von Bischoff nicht spezifisch aus der Produktionsweise selbst erklärt. Seine entscheidende Formulierung bezüglich dieses Zusammenhangs lautet (S. 49): „Die Frage ist, in welchem Umfang die unverzichtbare Entwertung der übersteigerten Eigentumstitel oder die hohen Preise von Wertpapieren korrigiert werden und damit eine Ankoppelung an das Potenzial des realwirtschaftlichen Verwertungsprozesses (!) wieder möglich wird.“
Folgerichtig finden sich Anklagen in Bischoffs Buch, welche „dauerhafte Kapitalgewinne aus Immobilienpreissteigerungen (…) [als] Schwindel“ (S. 49) anprangern und sich damit innerhalb der Argumentationsfigur des „strukturellen Antisemitismus“ bewegen. Es ist Bischoff allerdings hierbei zugute zu halten, dass er in seinem Buch nicht in einen Antiamerikanismus verfällt, sondern erkennt, dass die Bildung von „fiktivem Kapital“ eine globale (er bezieht sie vor allem auf die westlichen Industrienationen) Erscheinung ist (auch wenn er sie nicht mit der Entsubstantialisierung des Wertes als globales Phänomen auf der Ebene der Produktionsweise selbst in Beziehung setzt).
Wie bereits erwähnt, bewegt sich der „Lösungsansatz“ dieses Buches in der immanenten Form der Wertvergesellschaftung, genauer in der Form der Zirkulation, und damit der Form Politik, was zur Folge hat, dass im „Spiel dieser Abstraktionen“ (Hegel) der konkrete Begründungszusammenhang der Krise durch eine anachronistische Konstruktion ersetzt wird: Der Neoliberalismus als Agent der Eigentumsgesellschaften (S.63), die Politik der niedrigen Zinsen (gemeint ist wohl Alan Greenspan) (S.57), die Deregulierungspolitik der Finanzmärkte und die daraus entwachsende Informations- und Kommunikationstechnologie sind das Feindbild, welchem die sozial gerechte Politik einer nachfrageorientierten, keynesianisch-internationalen (dies selbst ist natürlich eine in sich widersprüchliche Konstruktion) Politik gegenübergestellt wird, wie sie vor allem in dem Kapitel „Kurswechsel: die Botschaften des New Deal“ (S.78ff.) zum Ausdruck kommt, wobei die Beliebigkeit dieser historischen Referenz (New Deal) auf die Äußerlichkeit der Analyse verweist. Dies mag auch der Grund sein, warum das Buch durchgehend von einem Duktus der „Eigentlichkeit“, der sich dann meistens auf die Realökonomie bezieht, durchtränkt ist. Letztlich ist zu sagen, dass in Bischoffs Buch weder eine kohärente Erklärung der Krisendynamik auf der Ebene der Lebens- und Produktionsform selbst entfaltet wird, noch dass er (bedingt durch eben diesen verkürzten Ansatz) seine ökonomische Analyse mit der so notwendigen Ideologiekritik verbindet. Dass er von der Wertabspaltung, die sich in der Fundamentalkrise unter anderem in der zunehmenden Delegation der Krise an die Frauen vollzieht, keinen Begriff hat, ist nur die logische Konsequenz der Arbeitsontologie, da ja Wert und Abspaltung nur in ihrer Gleichursprünglichkeit zu reflektieren sind – insofern reiht sich dieses Buch in die lange Schlange politizistisch verkürzter und damit schlussendlich ideologischer Krisenliteratur ein.
[1] Joachim Bischoff: Globale Finanzkrise. Über Vermögensblasen, Realökonomie und die „neue Fesselung“ des Kapitals, (Hamburg, 2008)
[2] Vgl. dazu Ortlieb, 2009.